Texte

Carl AignerLucas Gehrmann

SPUREN DES LICHTS
Zur Naturphotographie von Andrea Lambrecht

Je seltsamer und phantastischer die Formen der Natur ausfallen, desto größer ist der Vorzug des Bildes gegenüber der Beschreibung.
Henry Fox Talbot

Wenig scheint im frühen 19. Jahrhundert mehr Verlangen hervorzurufen als das Phänomen Natur. Als Ort der Unendlichkeit im Angesicht des Heraufdämmerns der Industriegesellschaft und ihrem endlichen Zeitbegriff wird die Natur (erneut) zu einem neuralgischen Moment des Kunstdiskurses. Im Spannungsfeld der Fragen, ob Kunst die Vollendung von Natur sei oder die Natur das uneinholbare Vorbild für die Kunst, galt es, ihrer per se ansichtig werden zu können, sie im Lichte ihrer selbst zu erblicken.

Als „Zeichenstift der Natur“ beschreibt der Erfinder der Negativ-Positiv-Photographie, Henry Fox Talbot, das neue Bildmedium 1844. Gleichsam als Deus ex Machina vermag es Kraft des Lichtes in Verbindung mit lichtempfindlicher Chemie einen reinen “ Abdruck“ der Natur quasi aus sich selbst heraus zu bewerkstelligen. Als „Schrift des Lichtes“, ja sogar als Heliographie, als Schrift der Sonne impliziert es bereits durch die Benennung eine Metaphorik, selbst eine Emanation der Natur zu sein. Nicht zuletzt darauf basiert die „Magie“ der analogen Photographie; ihr bis heute anhaltendes Faszinosum resultiert aus dem visuellen Begehren nach einer vollkommenen Sichtbarkeit von Welt – es ist das Credo seit dem vorletzten Jahrhundert, dass nur das, was sichtbar ist, auch wirklich ist. Nicht das (neue) Abbildungsvermögen von Wirklichkeit durch die Photographie ist ihre Wertigkeit, sondern deren photo-graphisches Verbürgen. Photographieren ist nicht bloß ein Abbilden von Wirklichkeit, sondern immer auch ein Herausbilden von Wirklichkeit.

Dabei geht es aber auch um „unbewusste“ Wirklichkeit als Resultat einer apparativen Weltwahrnehmung (im selben Jahrhundert werden Photographie und Psychoanalyse entwickelt!). Neben vielen innovativen Aspekten, welche die Erfindung der Photographie bildnerisch in sich birgt (unter anderem Negativ-Positiv-Verfahren, Serialität, Fragmentarität, Polyperspektivität), ist sie auch jenes Bildmedium, welches das Prinzip des Zufalls bildgebend in die Geschichte der Bilder einbringt. Das „Unbewusste“ der Photographie, von dem immer wieder gesprochen wurde, bezieht sich auf das Faktum, dass jedem photographischen Bild Elemente immanent sein können, die nicht einer bewussten Intention des Photographen entsprechen (zum Beispiel die im Moment der Aufnahme durch das Bild laufende Katze). Die Fülle des Natureindruckes mit seinen unzähligen Details entzieht sich in seiner retinalen Wahrnehmung und wird erst durch die photoapparative „Aufnahme“ sichtbar .

Bereits im ersten Moment der Betrachtung der Bildserien von Andrea Lambrecht wird dieses Faktum augenfällig. Ob es sich um dieselt den 1990er Jahren entstandenen Wolken-, Baum- oder etwa um die Fischmarktserien handelt, sie alle verweisen kraft der Photographie auf die unendliche Fülle der Welt. Entgegen der digitalen Bilderflut und parallel zu ihrem Entstehen hat Andrea Lambrecht Anfang der 1980er Jahre begonnen, sich mit der „klassischen“, also chemischen Photographie zu beschäftigen. Autodidaktisch, wie es für jeden Photographen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Regel der Fall war, beginnt sie für sich die photographischen Potentiale zu erkunden.

Fasziniert von der Ästhetik der Schwarz-Weiss-Photographie in ihrer Realisierung auf Barytpapier in Form traditioneller Photoformate und immer wieder auch die Möglichkeit der Selentonung praktizierend, wird die Photographie ein Seismograph ihrer Weltwahrnehmung (Auslöser ihres photographischen Begehrens war ihre Kolumbienreise ,die sie damals noch als Ethnologin unternahm). Immer wieder spielt dabei der „ferne“ Blick eine konstitutive Rolle, ob es sich nun um Wolkenphotographien handelt oder um Aufnahmen von exotischen Bäumen und Waldlandschaften. Vielleicht auch unbewusst wird ihr Studium der Ethnographie zu einem Blickgeber, der sie besonders für das Fremde und das Fremde im Vertrauten sensibilisiert.

Im weitesten Sinne des Wortes ist für Andrea Lambrecht die Naturphotographie (ihre Aktund Portraitarbeiten nehmen eine andere Wertigkeit ein) die Essenz ihrer photographischen Arbeiten. Die „Natur“ der Photographie ist dabei gewissermaßen der Emulgator ihrer Naturbildfindungen. Die ästhetische Konstanz und Kontingenz konvertiert in formalen Lösungen wie Ausschnitt, Fern- Nahsicht- und Aufsicht, der weitgehenden Absenz von Bildhorizonten und zentralperspektivischen Überlegungen. Dabei spielt gerade in ihren Landschaftsphotographien die Absenz eines Horizonts eine fundamentale Rolle, in so ferne als daß damit auch die Absenz einer Verortbarkeit signalisiert wird. Die „Naturstücke“, um mit Albrecht Dürrer zu sprechen, mutieren zu generellen Erscheinungen von Natur: Wolken, Baum, Meerestierkörper, sind Natur an und für sich.

Formationen von Wolken, Bäumen und Tieren sind nicht nur formale Gestaltungsweisen, sondern symbolisieren auch die Unendlichkeit von Natur im Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit. Das „Chaotische“ der Naturwelt wird behutsam photographisch strukturiert und gleichzeitig potenziert. Expressiv und impressiv zu gleich, agiert Andrea Lambrecht mit einer photoästhetischen Sprache, die weitgehend auf Dramatik verzichtet. Die photographische Thematisierung der Wolken etwa, die bereits um 1870 beginnt und sich bald zu einer photowissenschaftlichen Methodik entwickelte, ist ein eindrucksvolles „barockes“ Spiel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel, von Chaos und Form bei Andrea Lambrecht. Auch hier zeigt sich ihr großes photographisches Vermögen, bildnerisch mit den Dimensionen dieses Bildmediums umzugehen, was sich auch an der photographischen Plastizität der Wolkenformationen manifestiert.

Besonders eindrucksvoll erweist sich dies in der umfangreichen Fischserie, die über längere Zeit hinweg in einem italienischen Fischgroßmarkt direkt am Rande des Mittelmeeres realisiert wurde. In bravouröser Weise wird die Schwarz-Weiss-Dimension des Photographischen ausgelotet, wird das atmosphärische Lichtspiel der nassen Fischkörper buchstäblich zum Leuchten gebracht. Die Photographie als Schrift des Lichtes vermählt sich hier zu einem biomorphen, subtil komponierten Bildgebilde, das per se auch daran erinnert, dass das Licht die Grundlage für jedes biologische Leben schlechthin ist. Besonders eindrucksvoll wirken die lichtglänzenden Aalkörper, die in ihrer Formenvielfalt immer wieder auch an Bäume und Wälderstrukturen erinnern. Hautnah und dennoch in einer visuellen Narration eingebunden, evozieren sie die vielen Entstehungsmythen des Lebens aus den Tiefen der Meere – Meeresfrüchte, die vom Erscheinen des Lebens und der Wirklichkeit des Todes im Angesicht seiner ästhetischen Schönheit phantasmagorieren – der Tod als Erwachen aus dem Traum des Lebens, von dem Arthur Schopenhauer einmal geschrieben hat.

Es ist ihre schwarz und weiss Photographie die eine spezifisch graphisch-ästhetische Dimension bewirkt.Durch einerseits einen subtilen und verstörenden Detailreichtum, andererseits die Prägnanz der Ausschnitte, die Universalität imaginieren ,wird eine Narrativität erzeugt, die an Transsubstantiation erinnert: die Natur als göttliche Erscheinung. Zweifellos vermitteln die Werke von Andrea Lambrecht ein Moment des Metaphysischen, so als ob durch die Photographie (ein letztes Mal) die Verweltlichung von Natur aufgehoben werden könnte – und es ist die Photographie, die uns generell eine aufgehobene Zeit suggeriert. Dies noch spüren und erspüren zu können ist wohl eine verborgene Botschaft der Werkserien von Andrea Lambrecht, die dafür das Gespür nicht verloren hat. Denn: „Die Kunst, die Natur zu sehen, ist eine Sache, die ungefähr auf die gleiche Weise erlernt werden muss wie das Entziffern von Hieroglyphen“, meinte John Constable einmal

Es ist ihre schwarz und weiss Photographie die eine spezifisch graphisch-ästhetische Dimension bewirkt.Durch einerseits einen subtilen und verstörenden Detailreichtum, andererseits die Prägnanz der Ausschnitte, die Universalität imaginieren ,wird eine Narrativität erzeugt, die an Transsubstantiation erinnert: die Natur als göttliche Erscheinung. Zweifellos vermitteln die Werke von Andrea Lambrecht ein Moment des Metaphysischen, so als ob durch die Photographie (ein letztes Mal) die Verweltlichung von Natur aufgehoben werden könnte – und es ist die Photographie, die uns generell eine aufgehobene Zeit suggeriert. Dies noch spüren und erspüren zu können ist wohl eine verborgene Botschaft der Werkserien von Andrea Lambrecht, die dafür das Gespür nicht verloren hat. Denn: „Die Kunst, die Natur zu sehen, ist eine Sache, die ungefähr auf die gleiche Weise erlernt werden muss wie das Entziffern von Hieroglyphen“, meinte John Constable einmal

Lucas Gehrmann

Andrea Lambrecht hielt sich nach ihrem Studium der Ethnologie in Wien zwischen 1982 und 1984 in Columbien auf, wo sie mit der Fotografie begann. Ihr damals ethnologisch ausgerichteter Blick auf den Menschen, sein Umfeld, die ZusammenhÄnge zwischen kultureller PrÄgung und IndividualitÄt ist ihr im Kern in den folgenden 30 Jahren ihrer fotografischen Arbeit erhalten geblieben, auch wenn sich ihr Fokus erheblich erweitert hat auf die Natur, auf Architekturen oder auf das „reine“ PortrÄt des Menschen. Stets analog (mit der Rolleiflex) und in Schwarzweiß aufgenommen, bekunden ihre in Serien gefertigten Sujets (z.B. Himmel/Wolkenszenarien, WÄlder/BÄume, StÄdte/RÄume, Fische …) weit mehr als die im Augenblick des Abdrückens gewonnene „reine RealitÄt“ einer Situation. Indem sie mit scharf beobachtendem Blick das transformative Potenzial ihrer Sujets mitberücksichtigt, das heißt auch das „unsichtbare“ zeitliche und rÄumlich Umfeld mitdenkt, entstehen Bilder mit inhÄrenter Bewegung, mit Reflexionen des Kontextes, Bild-Geschichten vom Leben, von der Natur, vom Werden und Vergehen und Wieder-Werden.

„Photographieren ist nicht bloß ein Abbilden von Wirklichkeit, sondern immer auch ein Herausbilden von Wirklichkeit“, schreibt Carl Aigner mit Blick auf Andrea Lambrechts Fotokunst. Zu diesem Wirklichkeitsbegriff gehört auch das Unbewusste, das unter der sichtbaren OberflÄche wirkende Sein. In ihrer jüngst entstandenen PortrÄtserie von (der Fotografin persönlich bekannten) Kindern und Jugendlichen spiegelt sich dieser psychologische Blick besonders eindrücklich. Indem sie ihre ProtagonistInnen vor jeweils weißem Grund und im weißen T-Shirt mit ihrem Lieblingsspielzeug im Licht der Sonne frei agieren lÄsst, liegt die Konzentration ganz auf der Mimik, Gestik und der inneren Bewegung der Portraitierten im Wechselspiel mit den von ihnen – wie auch immer – prÄsentierten GegenstÄnden, die hinwiederum mehr sind als nur reine „Objekte“. (LG)